„Wir werden, was Fußverkehr und Barrierefreiheit im Mobilitätsgesetz betrifft, noch die Ohren anlegen“

 

Im zweiten Teil des Interviews mit dem Staatssekretär für Verkehr Jens-Holger Kirchner (Bündnis 90/ Die Grünen) geht es um das Mobilitätsgesetz, die ÖPNV-Erschließung des Pankower Nordens und um das einst groß angekündigte Experiment zur Verkehrsberuhigung eines Teils der Schönhauser Allee.

 

Herr Kirchner, im Sommer des vergangenen Jahres hatten Senatorin Regine Günther und Sie der Öffentlichkeit die Vorlage zu einem Mobiliätsgesetz vorgestellt. Dabei wurde verkündet, dass das Gesetzeswerk noch im Dezember das Abgeordnetenhaus passieren wird. Jetzt haben wir Anfang Februar 2018 – aber beschlossen ist das Gesetz noch nicht.



Nun mal janz in Ruhe, liebe Presse. Fakt ist, dass der Senat im Dezember das Mobilitätsgesetz in erster Lesung zur Kenntnis genommen hat. Dann ist es in den Rat der Bürgermeister (RdB) gegangen - das ist im übrigen kein Spielgremium, sondern ein Verfassungsorgan. Da hatten wir Mitte Januar dann die zweite Lesung. Nun bereiten wir die Vorlage für die zweite Lesung im Senat vor. Das wird Mitte Februar im sein und danach gehts ins Abgeordnetenhaus. Dann haben wir vom Beginn der Erörterungen am 15. Februar 2017 bis möglicherweise zum 13. Februar 2018 genau ein Jahr gebraucht: Für den Dialog Radverkehr, für das Schreiben des Gesetzes, für die Verbändebeteiligung, für die Senatsvorlage inclusive der Diskussion im RdB - das ist dann doch schon ganz schön schnell.

Welche Änderungen sind nach diesem Durchlauf noch zu erwarten?


Ich stecke nicht in der Haut des Abgeordnetenhauses. Vom Rat der Bürgermeister kamen 40 Seiten Hinweise. Da sind wir gerade dabei, die Stellungnahmen zu erarbeiten. Dabei prüfen wir, was wir übernehmen, was wir ablehnen oder was in die Themenspeicher aufgenommen wird.

Was war der Tenor der Einwände und Vorschläge?


Unterschiedlich. Ganz bunt. So viele Bezirke, wie wir haben, so viele unterschiedliche Stellungnahmen gab es auch.
Schon bei der Verbändebeteiligung gingen über sechshundert Hinweise ein. Das ganze ist ja schon ein Erarbeitungsprozess mit der Stadtgesellschaft. Da steckt sehr viel Arbeit und sehr viel Hirnschmalz von Verbänden und Einzelbürgern drin.
Nun muss man sehen, wie das Abgeordnetenhaus reagiert. Ich vermute aber mal, dass wesentliche Änderungen jetzt nicht mehr stattfinden.

Ein anderes Projekt, das mit Ihrem Namen verbunden ist, war das Experiment zur schrittweisen Verkehrsberuhigung der Schönhauser Allee. Wir erinnern uns…

Ja...

…dass sich Senat, Bezirk sowie ein bekanntes dänisches Planungsbüro mehrmals trafen und unter Mitwirkung von Anrainern ein geradezu futuristisches Konzept für eine mögliche Verkehrsberuhigung der Schönhauser Allee entwarfen. Der motorisierte Individualverkehr sollte auf einem Teilstück der Magistrale versuchsweise in drei Stufen immer weiter zurückgedrängt und so Straßenraum für Radfahrer und Fußgänger gewonnen werden. Übriggeblieben sind davon drei Parkletts



Sechs. Sechs Parkletts für drei Standorte.

…die längst schon aufgestellt sein sollten – es aber noch nicht sind.

Die sind ja schon da.

Wo?

Im Moment liegts mal wieder daran... Also: Vor ein paar Tagen hatte ich mit Herrn Kuhn...

Ihr Nachfolger im Amt des Pankower Bezirksstadtrats für Stadtentwicklung…

...und Herrn Johnke...

Der Leiter des Pankower Straßen- und Grünflächenamtes…


...gesprochen und wollte wissen, was ist denn da los? Meine Leute beschweren sich, dass es in dieser Sache nicht weiter geht. Und die beiden sagten mir dann: Uns hat ja keiner gefragt.

Tolle Kommunikation.


Die typische Berliner Nummer. Im Kern geht es um die Verantwortung. Also werde ich zur Not erst einmal wieder alle an meinen Tisch holen. Meine Leute und die aus dem Bezirksamt Pankow.

Wann geht es nun los?


Die Parkletts sind da, die Standorte sind identifiziert, die Paten sind da. Das wird auch alles sehr lebendig werden. Sie werden mir aber nachsehen, dass wir das nicht im November im Nieselregen beginnen.

Wir haben jetzt Ende Januar.

Ja. Ein schöner Frühlingstag ist da natürlich besser.

Aber da war ja mal viel mehr geplant, als bloß sechs Parkletts auf die Straße zu stellen.


Das ist ja auch nur die erste Phase. Die ist etwas zeitaufwendiger – wie so vieles in Berlin. Wenn die Parkletts stehen, geht die zweite Phase los: Untersuchen, wie man im Abschnitt zwischen der Stargarder und der Wichertstraße zumindest auf der östlichen Seite mehr für Fußgänger und Radfahrer tun kann. Die dritte Phase ist ja dann, den Kraftverkehr zu verschwenken und die östliche Fahrbahn nur für Fußgänger und Radfahrer vorzuhalten. Aber da sind wir noch lange nicht.

Es werden also nicht – wie mal angedacht – die Phasen im Jahresrhythmus gesteigert?

Nee, nee, das erfolgt homöopathisch. Homöopathisch heißt: langsam.

Aber wir beide werden die dritte Phase noch erleben?


Das hoffe ich! Wichtig ist doch, was dahinter steht. Nämlich die Diskussion um die Qualität des öffentlichen Raums. Das kann ich Ihnen jetzt schon sagen: Wir werden, was Fußverkehr und Barrierefreiheit im Mobilitätsgesetz betrifft, noch die Ohren anlegen. Was da an Qualitätsstandards formuliert wird, ist dann schon noch mal eine andere Sichtweise auf den öffentlichen Raum, als der durch die Windschutzscheibe.

 

Radfahren und Laufen sind ja nur ein Teil des Verkehrs. Die Anbindung des Pankower Nordens an den Öffentlichen Personennahverkehr wird von manchen als eine kleine Katastrophe empfunden…

Katastrophe ist gut, da fährt ja immerhin schon mal 'ne Straßenbahn.

Was mich irritiert: Für die Elisabethaue – die ja laut Koalitionsvertrag erstmal als Wohnungsbaugebiet wegfällt – existiert bereits eine komplette Straßenbahnplanung. Für den Blankenburger Süden hingegen – zentrumsnäher und als Baufläche für rund 6.000 Wohnungen vorgesehen – gibt es eine solche Planung nicht. Auch „Buch V“ ist nun wieder als potenzielles Wohnungsbaugebiet im Gespräch. Zehntausende Menschen werden also in absehbarer Zeit in den Pankower Norden ziehen und die müssen ja irgendwie hin und her transportiert werden. Was mir fehlt, ist ein – zumindest erst einmal in groben Zügen – schlüssiges Verkehrskonzept für diesen enormen Bevölkerungszuwachs.


Das nennt sich Stadtentwicklungsplan Mobilität und Verkehr. Der wird im Sommer kommen. Ein Teilprojekt dieses Planwerks ist die Betrachtung einer stark wachsenden Region am Beispiel des Berliner Nordostens. Da spielt der Blankenburger Süden genauso eine Rolle wie Buch, wie Französisch Buchholz und Bernau. Das haben wir schon auf dem Schirm.
Für den Blankenburger Süden gab es am 7. Februar ein Forum dazu und Anfang März wird das bei einer großen Veranstaltung mit den Senatorinnen Regine Günther und Katrin Lompscher vorgestellt. Da wird dann die Vorzugstrasse für die Straßenbahn und der Anfang von der Machbarkeitsstudie der Tangentialverbindung Nord vorgestellt. Da sind wir schon ziemlich am Drücken.
Dass nun die Elisabethaue bei den Koalitionsverhandlungen wieder rausgeflogen ist, ist jetzt erstmal so. Aber auch da war ja allen klar, dass es mit der Verlängerung der Straßenbahnlinie 50 überhaupt nicht getan ist. Die Planungen zur Verlängerung der M1 von der Schillerstraße mit der Trassenuntersuchung war ja schon sehr weit gediehen. Das ist jetzt per se nicht furchtbar und auch keine vertane Zeit, denn im Koalitionsvertrag steht ja drin, dass die Planungen für die Elisabethaue für diese Legislaturperiode ausgesetzt sind. Da muss man nun gucken. Die Rufe werden ja immer lauter.

Bei dem zu erwartenden Zuwachs an Einwohnern im Norden Pankows kommen bei mir Zweifel auf, ob allein die Straßenbahn die Massen befördern kann, die da mal wohnen werden. Brauchts da nicht auch ein so leistungsfähiges System wie die S-Bahn?


Diese Frage wird gerade in der Vorbereitung Stadtentwicklungsplan Mobilität und Verkehr heftig diskutiert. So wurde zum Beispiel eine Verlängerung der Wartenberger Strecke angedacht Wobei das jetzt nicht so das Coolste ist, denn man fährt nicht über Lichtenberg in die Stadt. In anderen Quadranten von Berlin wird es auf jeden Fall S-Bahn-Ergänzungen geben – etwa nach Nauen. Da wird das schon projektweise und nicht nur als Möglichkeit diskutiert.

Bleiben wir auf Pankower Gebiet. Von Buch nach Bernau wäre ein Zehn-Minuten-Verkehr möglich – wenn es ein zweites Gleis gäbe. Das passt aber nicht auf die gegenwärtige Brücke über die Wiltbergstraße. Demnächst wird die Bahnbrücke erneuert – aber die neue Brückenwanne ist wohl um keinen Zentimeter breiter als die alte, so dass dort auch in Zukunft kein weiteres Gleis für den Zehn-Minutentakt Platz hat. Warum ist es dem Land Berlin nicht möglich, der Deutschen Bahn klarzumachen, dass ein Zehn-Minuten-Takt nach Bernau in Zukunft nötig sein wird?


Das ist die fatale Ungleichzeitigkeit des Seins. Die Deutsche Bahn sagt, wir sehen die Notwendigkeit nicht... - wir sind an dieser Stelle erstmal noch nicht weiter gekommen.

„Erst mal nicht weiter“ ist gut. Wenn die neue Brücke mit den alten Maßen auf die Pfeiler gehoben wird, ist eine Verdichtung des Taktes nach Bernau für Jahrzehnte passé.


Ja. Aber zur Zeit steht das zweite Gleis nach Bernau im ganzen Kontext mit den Regionalbahnverdichtungen nicht ganz oben in der Prioritätenliste. Da ist die Heidekrautbahn viel höher angesiedelt.

Manchmal treibts den Prenzlauer Berger ja auch ins Ausland. Bei einem Ausflug nach Mitte sah Straßenbahnschienen in der Leipziger Straße – mithin in einem Gebiet, in dem seit dem 24. August 1970 kein Wagenrad mehr über Gleise quietschte. Wann kann man in der Leipziger einsteigen?


Sie meinen jetzt den Abschnitt vom Alex zum Potsdamer Platz? Da läuft jetzt die Ausschreibung. Dann gibt es ja noch weitere Abschnitte – vom Potsdamer Platz nach Zehlendorf. Und wir planen noch mehr Straßenbahnlinien. So zwischen Adlershof und Schöneweide. In Ostkreuz gibt es einen Schlenker zum Bahnhof in der Sonntagstraße, in der Treskowallee in Karlshorst die Verlängerung vom Hauptbahnhof zur Turmstraße – das sind die aktuellen Projekte.

Die Renaissance der guten, alten „Bimmel“…

In Vorbereitung sind auch die Verlängerung von der Warschauer Straße zum Herrmannplatz und die Verlängerung von der Turmstraße zur Jungfernheide. Danach soll die Linie bis nach Tegel führen. Ebenfalls vorbereitet wird die Verlängerung der M2 von Heinersdorf hoch zum Blankenburger Süden und die 54 vom Pasedagplatz rüber zum S- und U-Bahnhof Pankow. Das sind schon – ich hab bestimmt irgend eine Linie jetzt vergessen - ganz schön viele Projekte, mit denen wir uns aktuell beschäftigen.

 

Hier gehts zum ersten Teil des Interviews, in dem unter anderen über eine zwölf- bis siebzehnjährige Planung für einen Radweg, einen leergefegten Radverkehrsingenieursmarkt und über eine strittige Tempo-30-Regelung in der Schivelbeiner Straße gesprochen wird.

 

 

 


 

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6 Kommentare zu “„Wir werden, was Fußverkehr und Barrierefreiheit im Mobilitätsgesetz betrifft, noch die Ohren anlegen“”

  1. Die Aussagen zur Anbindung von Berlin-Buch und Blankenburg-Süd sind mehr als dürftig .
    Die vorhandene Anbindung ist Resultat des Handels von Bausenator Kirchner. Das daraus resultierende derzeitige Chaos auch .
    Zur Schönhauser sei nur gesagt , der derzeitige Leerstand und Wegzug von Läden ist Resultat seiner Bewirtschaftung.

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  2. Ganz toll, Schönhauser Allee die Fahrbahn verschwenken, da ist der Stau schon vorhersehbar. Und was man mit der Dietzgenstraße angestellt hat, ist überhaupt nicht lustig. Die Autofahrer und die Straßenbahn teilen sich eine Fahrspur und die Radfahrer fahren durch die wartenden Straßenbahnfahrgäste hindurch. Wer hat sich blos diesen Mist ausgedacht? Und dann will man noch mehr Wohnungen bauen, wie sollen die denn alle in die Stadt kommen?

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  3. Total verpollert

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  4. Hoffentlich verstopft sich das „Hirnschmalz“ nicht irgendwo?! 😀

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